Die Bioökonomie als Wirtschaftsmotor in Sachsen-Anhalt

Prof. Dr. Matthias Zscheile (2. v.  l.) und sein Team stärken die Bioökonomie in Sachsen-Anhalt.
Prof. Dr. Matthias Zscheile (2. v.  l.) und sein Team stärken die Bioökonomie in Sachsen-Anhalt.
BioEconomy Cluster

Wenn man sich dem Technologiepark Weinberg Campus in Halle (Saale) nähert, spürt man, dass es sich um einen besonderen Ort handelt. Vor den Toren des Weinberg Campus flattern Bundes- und Europafahnen neben denen von Max-Planck-, Leibnitz- und Fraunhofer-Instituten sowie namhaften Firmen aus den Bereichen Life-Sciences, Biomedizin und Materialwissenschaften. Da überrascht es nicht, dass der Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts, Prof. Dr. Armin Willingmann, diesen Technologiepark erst kürzlich mit dem Prädikat „Zukunftsort“ beschrieb. Mittendrin: Die Geschäftsstelle der BCM BioEconomy Cluster Management GmbH.

Mitbegründer und heutiger Manager der Clusterinitiative BioEconomy ist Prof. Dr. Matthias Zscheile. Er wuchs in einem Sägewerk im Harz auf, das seine Familie betrieb. Nach diversen Ausbildungen und beruflichen Stationen folgte Zscheile dem Ruf der Technischen Hochschule Rosenheim und ist dort seit 2003 Professor für Holztechnik, Fertigungstechnik/Sägewerkstechnik und Massivholzverarbeitung. Seine Heimat hat er nie aus dem Blick verloren. Er setzt sich bereits seit 2006 dafür ein, die Holzbranche in Sachsen-Anhalt zu revitalisieren – mit Erfolg. Bis heute hat sich eine Vielzahl an Unternehmen in der Region angesiedelt. 2012 entwickelte er gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Hirth (Fraunhofer IGB) die Idee, unter dem Motto „Holz trifft Chemie“ nachwachsende Rohstoffe in der Chemieindustrie zu nutzen. Mit diesem innovativen Vorhaben gewann das Team 2012 beim Spitzenclusterwettbewerb des BMBF und besiegelte damit die Geburtsstunde des BioEconomy e. V. Seit Ende 2012 war Professor Zscheile als Vorstandsvorsitzender tätig, nach Auslaufen der Förderung übernahm Zscheile 2017 die Position des Clustermanagers. Gleichzeitig übernahm Dr. Joachim Schulze, Technischer Leiter der Corvay Bioproducts GmbH, den Vorstandsvorsitz. Beide verfolgen seitdem gemeinsam mit ihrem mittlerweile dreiköpfigen Team die Vision, die Clusterregion Mitteldeutschland zur internationalen Modellregion der Bioökonomie zu entwickeln. Dabei setzt sich das BioEconomy-Team dafür ein, den natürlichen Rohstoff Holz und andere nicht zur Ernährung bestimmte Energiepflanzen sowohl stofflich, chemisch als auch energetisch in effizienten Koppelproduktionen und Kaskaden vollständig zu nutzen. Mittlerweile engagieren sich 54 Mitglieder im BioEconomy Cluster – rund die Hälfte davon sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Aber auch Global Player wie die finnischen Unternehmen UPM, Fortum, Großunternehmen wie DOMO Chemicals oder Forschungseinrichtungen wie das Helmholtz Zentrum und das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle sind engagierte Akteure der Clusterinitiative. Dass dies überhaupt möglich ist, lässt sich auf das hartnäckige Engagement und die hervorragende Arbeit des Clustermanagements zurückführen.

Neue Bioraffinerie erfolgreich angesiedelt

So konnte die weltweit erste und größte Bioraffinerie der UPM Biochemicals GmbH (UPM) durch die Unterstützung des BioEconomy Clusters erfolgreich in Sachsen-Anhalt angesiedelt werden. UPM ist ein finnisches, weltweit führendes Unternehmen der Zellstoff- und Papierindustrie und auf nachwachsende und biologisch abbaubare Rohstoffe zur Fertigung von recyclingfähigen Alltagsgegenständen und Materialien spezialisiert. Ende 2022 soll die Anlage in Betrieb gehen, 200 Arbeitsplätze werden in der Region entstehen. Die Investition beläuft sich auf 550 Millionen Euro. Die neue Bioraffinerie im Chemiepark Leuna wird jährlich etwa 500.000 Tonnen Buchenholz verarbeiten können. UPM investiert damit in die nächste Generation von Biochemikalien und forciert somit den Wechsel von fossilen zu nachhaltigen Lösungen – ein großer Erfolg für die Region, das Bundesland Sachsen-Anhalt und BioEconomy.

Allerdings war der Weg zu dieser erfolgreichen Ansiedlung nicht immer einfach. Fast zehn Jahre mühevollen, stetigen Ringens gehen diesem Durchbruch voraus. So wollte sich UPM – trotz zahlreicher Voruntersuchungen und Forschungsarbeiten durch Mitglieder des BioEconomy Clusters – ursprünglich in Frankfurt am Main ansiedeln. Schließlich waren es zweieinhalb Jahre hartnäckige Überzeugungsarbeit des BioEconomy-Teams und das Mitwirken des Landes Sachsen-Anhalt, der Kommunen, diverser Banken und Marketinggesellschaften, die UPM davon überzeugten, nach Sachsen-Anhalt überzusiedeln. „Durch die Ansiedlung von UPM hoffen wir auf eine weltweite Sogwirkung: Wenn erstmal ein großes Unternehmen da ist, ziehen viele weitere nach“, hofft Zscheile. Erste Anzeichen, dass sich diese Strategie bewahrheitet, deuten sich bereits an. „Ein weiteres großes finnisches Unternehmen hat bereits Interesse bekundet und auch Firmen aus Italien, Frankreich, Belgien und sogar Amerika und Kanada zeigen sich interessiert.“

Neue HUBs beschleunigen Innovationen

Ein weiterer Meilenstein, den das Clustermanagement gemeinsam mit dem Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biologische Prozesse (CBP) gesetzt hat, und der die Bioökonomie in den kommenden Jahren noch weiter voranbringen wird, ist der neue BioEconomy HUB. Dieser befindet sich aktuell in der Konzeptionsphase und wird durch Mittel des Strukturstärkungsgesetzes finanziert. Ziel des HUBs ist es, junge Unternehmen im Bereich der Bioökonomie zu fördern und sie auch in schwierigen Phasen ihrer Geschäftsentwicklung zu unterstützen. Dabei sollen sie nicht nur auf Büro- und Laborräume zurückgreifen können, sondern erhalten auch Zugang zu Pilotanlagen und etablierten Infrastrukturen, Dienstleistungen und Netzwerken. Ein ähnliches Vorhaben plant das BioEconomy-Team im Südharz zum Thema Holz. Unter dem Dach „Zukunft Holz“ sollen hier die bedarfsgerechte Holzbereitstellung, Holzverwendung und der breite Holzeinsatz, wie zum Beispiel der Holzbau oder die Herstellung von Holzprodukten, vorangetrieben werden. Die Reststoffe, die nach der Verwendung entstehen, sollen dann in der Chemiebranche genutzt werden. So wird der Kreislauf der Bioökonomie noch weiter geschlossen. Mithilfe der beiden HUBs will man der Vision, die Clusterregion Mitteldeutschland zur internationalen Modellregion der Bioökonomie zu entwickeln, noch ein weiteres Stück näherkommen.

Cluster als Retter in der Not

Dass Clusterinitiativen nicht nur wichtige Akteure für die langfristige regionale Wirtschafts- und Strukturentwicklung sind, sondern sich in Notzeiten auch als flexibel und spontan agierende Hochleistungszentren entpuppen können, beweist ein weiterer, erst junger Erfolg des BioEconomy Clusters. Angesichts des akuten Mangels an Desinfektionsmitteln und der großen Anzahl an Clustermitgliedern, die Rohstoffe für Desinfektionsmittel herstellen, hat die Clustermanagement-Organisation während der Corona-Krise kurzerhand die Koordination für die Herstellung und den Vertrieb von Desinfektionsmitteln in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus übernommen und dabei den Prozess aus technischer, betriebswirtschaftlicher und politischer Sicht koordiniert. So kümmerte sich das Clustermanagement gleich zu Beginn der Krise um Zulassungen für die produzierenden Unternehmen, debattierte über steuerliche Aspekte mit dem Bundesverwaltungsamt, dem Landes- und Bundesfinanzministerium sowie dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt. Im Ergebnis konnten insgesamt anfänglich bereits ca. 15.000 Liter Desinfektionsmittel pro Tag produziert und in die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachen und Thüringen geliefert werden. Diese wurden zu nennenswerten Anteilen durch das Land und das Bundesbeschaffungsamt zweckgebunden verteilt, um den Bedarf an Desinfektionsmitteln für systemrelevante Bereiche wie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Lebensmittelverarbeiter oder Großküchen zu decken.

Professionelle Netzwerkarbeit als Garant für den Erfolg

Wie schafft es diese Clusterinitiative, derartige Erfolgsbeispiele hervorzubringen? Wie organisieren sich die Mitglieder untereinander? Und wie kommunizieren sie? Hier kommt die professionelle Netzwerkarbeit des BioEconomy Clusters ins Spiel. Zu den Formaten, welche die Clustermanagement-Organisation unter dem Motto „Information und Netzwerke“ organisiert, zählen neben Business-Treffs, Informationsveranstaltungen und Mitgliederversammlungen auch Newsletter und Webinare – die zum Teil mit den Clusterpartnern in den Niederlanden, Frankreich und England organisiert werden – sowie eine jährliche Konferenz und regelmäßige Messeauftritte, beispielsweise auf der Hannover Messe, der LIGNA in Hannover, der BIOPOLYMER in Halle (Saale) und sogar der BIO World in den USA und Kanada.

Ob die Firmen schon Schlange stehen, um Mitglied des BioEconomy Clusters zu werden? „Wir müssen die Mitglieder schon überzeugen“, sagt Zscheile. „So haben wir es ja auch bei UPM gemacht. Da hat der Geschäftsführer gesagt: Ja, das ist genau das, was wir brauchen, wir wollen hier vor Ort aktiv werden. Und auch andere Firmen merken, dass das Umfeld für Bioökonomie hier in Halle (Saale) gut ist und dass sie hier entsprechend betreut werden. Wir versuchen, uns gut um die Mitglieder zu kümmern und ihnen Ideen mit an die Hand zu geben, welche Projekte sie wie umsetzen könnten. Wenn sie merken, dass das, was wir hier tun, ihnen helfen kann, werden sie Mitglied.“

Stimmen aus dem Netzwerk

Dr. Michael Duetsch – Geschäftsführer der UPM Biochemicals GmbH
Dr. Michael Duetsch – Geschäftsführer der UPM Biochemicals GmbH
© UPM Biochemicals GmbH
BioEconomy Cluster – Dr. Michael Duetsch
Dr. Michael Duetsch – Geschäftsführer der UPM Biochemicals GmbH:

„Wir sind seit 2018 mit dabei im BioEconomy Cluster. Damals kristallisierte sich heraus, dass der Chemiestandort Leuna und die Region Mitteldeutschland attraktiv für eine Investition in eine holzbasierte Bioraffinerie sind. Die Vernetzung von Industrie, kleineren mittelständischen Unternehmen, öffentlichen Instituten, Universitäten und Hochschulen trägt zu einem Umfeld bei, in der sich die Bioökonomie mit ihrer zukunftsorientierten Wirtschaftsweise schneller etablieren kann, als in anderen Regionen. Die Clusterinitiative kann gegenüber der Politik nicht nur die Bedürfnisse technologischer Art formulieren, sondern auch die Anforderungen an eine passende Infrastruktur. Gerade in Zeiten des Strukturwandels der mitteldeutschen Region hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften für morgen ist eine Stärkung der Bioökonomie ein wichtiges Element.“


Prof. Dr. Michael Nelles – Geschäftsführer des DBFZ – Deutsches Biomasseforschungszentrum gGmbH
Prof. Dr. Michael Nelles – Geschäftsführer des DBFZ – Deutsches Biomasseforschungszentrum gGmbH
© DBFZ
BioEconomy Cluster – Prof. Dr. Michael Nelles
Prof. Dr. Michael Nelles – Geschäftsführer des DBFZ – Deutsches Biomasseforschungszentrum gGmbH:

„Wir sind schon seit 2011 mit dabei – noch vor dem offiziellen Start des Clusters! Schon damals war uns aufgrund unserer Forschungsaktivitäten bewusst, wie wichtig das Thema in der Zukunft vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen und Nutzungskonkurrenz sein wird. Da lag es nahe, sich an einer Initiative zu beteiligen, die verschiedene Akteure zusammenbringt und entsprechend verschiedene Bedürfnisse in Ansätzen, Projekten und Strategien berücksichtigt. Über das BioEconomy Cluster ist es uns gelungen, ein dichtes Netzwerk aus allen Bereichen der Bioökonomie aufzubauen. So haben wir z. B. mittlerweile eine sehr enge und produktive Kooperation mit dem Fraunhofer CBP inklusive einer Reihe gemeinsamer F&E-Projekte zur stofflichen und energetischen Nutzung biobasierter Rohstoffe. Solche Verbundvorhaben, vor allem auch mit Industriepartnern, sind für uns wichtig, da wir so tiefere Einblicke in die Herausforderungen der biobasierten Wirtschaft gewinnen und für neue Technologie- und Verfahrensentwicklungen am DBFZ nutzen können.“

Weiterführende Informationen

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