Von Thüringen aus über den großen Teich

Wie steht es um den Themenkomplex Erneuerbare Energien in den Vereinigten Staaten? Dieser Frage ging Clustermanagerin Jana Liebe vom Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerk (ThEEN) auf einer BMWi-Delegationsreise nach. Das ThEEN ist seit dem Jahr 2021 Mitglied der „go-cluster“-Initiative und vereint über 70 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlichen Einrichtungen.

Jana Liebe (rechts im Bild) im Gespräch mit Brad Buchanan (links), Geschäftsführer des National Western Center Authority
Jana Liebe im Gespräch mit Brad Buchanan, Geschäftsführer des National Western Center Authority
© ThEEN e. V., 2021
Von Thüringen aus über den großen Teich

Von Erfurt aus kümmert sich das Netzwerk um die Themen Erneuerbare Energien, Energieeinsparung, Energieeffizienz und Sektorenkopplung.

Anfang August 2021 nahm ThEEN-Geschäftsführerin Jana Liebe an einer Delegationsreise in die Vereinigten Staaten teil. Begleitet wurde sie von Vertretenden des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), die sich ebenfalls über die aktuelle energiewirtschaftliche Lage jenseits des Atlantiks informieren wollten. Die „go-cluster“-Redaktion hat dazu mit Jana Liebe gesprochen.

Frau Liebe, wie kam es zur Delegationsreise?

Jana Liebe: Das „go-cluster“-Programm und das Bundeswirtschaftsministerium kamen auf uns zu und fragten, ob wir am „Americas Competitiveness Exchange (ACE) Colorado“ in der Stadt Denver sowie den beiden Landkreisen El Paso und Jefferson County teilnehmen möchten. Das Ziel war es, neben Vertretenden des BMWi auch deutsche Netzwerke, Innovationscluster und Unternehmen an der Delegation zu beteiligen. Daraufhin habe ich die personenbezogene Bewerbung beim ACE Komitee eingereicht.

Was hat Sie und ihr Netzwerk bewogen, sich für die Delegationsreise zu bewerben?

Unser Innovationscluster wollte sich ein eigenes Bild vom US-amerikanischen Markt und dem Stand im Bereich der Erneuerbaren Energien machen. Einige Unternehmen haben schon im Bereich des ökologischen Stadtumbaus Kontakte nach Denver. Interessant war für uns auch die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, wieder verstärkt auf Erneuerbare Energien und Klimaneutralität zu setzen. Mitte Juli 2021 haben er und Kanzlerin Angela Merkel die Klima- und Energiepartnerschaft zwischen den USA und Deutschland ins Leben gerufen. Das sind für unsere Unternehmen und Forschungseinrichtungen interessante Veränderungen.

Zudem wird das ACE-Programm auf oberster Ebene durch das Handels- und das Außenministerium der Vereinigten Staaten sowie die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) durchgeführt und bot den Kontakt zu Colorados Top-Fachleuten im Bereich Innovation, Entrepreneurship und Wirtschaftsentwicklung sowie anderen hochkarätigen Delegierten aus elf Nationen.

Was haben Sie erwartet und was waren Ihre Ziele für die Reise?

Unser Ziel war der Erfahrungsaustausch und das Anbahnen neuer Partnerschaften und Kooperationen, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung zur Energieversorgung der Zukunft, Geschäftsmodellen im Erneuerbare-Energien-Bereich sowie Strategien für die CO2-freie Produktion. Wir haben uns intensiv auf diese Reise vorbereitet und die Delegation sowie die Stationen genau angeschaut. So wusste ich immer, wann ich mit wem worüber sprechen möchte.

Jana Liebe, Geschäftsführerin des Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerks (ThEEN)
Jana Liebe, Geschäftsführerin des Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerks (ThEEN)
© ThEEN e. V., 2021
Von Thüringen aus über den großen Teich

Mit meinem Team habe ich die passenden Informationen für unsere Ansprache zu den Erneuerbaren Energien, Energiespeicherung, Energieeffizienz und Sektorenkopplung aufbereitet und nach unseren beiden Schwerpunkten im Innovationscluster – der Dekarbonisierung im Industriebereich und Quartiersansätze – sortiert und unsere englischen Websites erweitert, insbesondere zu den neuen Technologien im smood®-Konsortium.

Bereits im Vorfeld der Reise habe ich gegenüber dem BMWi, dem ACE-Komitee und der US-Wirtschaftsentwicklungsbehörde EDA (US Economic Development Administration) betont, dass wir für unsere Fraunhofer-Institute und Universitäten den Aufbau einer Kooperation mit dem ebenfalls im US-Bundesstaat Colorado beheimateten National Renewable Energy Laboratory (NREL) anstreben.

Konnten Sie die Themen ihrer Clusterinitiative vor Ort einbringen?

Ich konnte unser Innovationscluster und den Bereich Erneuerbare Energien, Energiespeicherung und Energieeffizienz gut präsentieren. Im Rahmen des Austausches hatte ich Daten und Fakten zu Thüringen und Deutschland parat.

Ich war selbst überrascht, wie viele Gespräche ich zu Erneuerbaren Energien geführt habe und nicht einmal Überzeugungsarbeit leisten musste. Nicht nur mit diversen Akteuren aus Colorado – hier kamen viele aus dem Smart-City-Kontext auf mich zu –, auch viele lateinamerikanische Delegierte sprachen mich an und waren vor allem an unseren umweltfreundlichen Speichertechnologien interessiert. Es verging für mich kein Abendessen, ohne über Erneuerbare Energien und Energiespeicherung zu sprechen.

Was stand alles auf dem Programm der Reise?

Während der Delegationsreise führte ich viele Gespräche mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung vor Ort und mit Delegierten aus Deutschland, den Vereinigten Staaten, Jamaica, Mexiko, Honduras, Kolumbien, Ecuador und Costa Rica über die Dekarbonisierung und den Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie neuer Technologien, insbesondere zur Energiespeicherung.

Das Programm war sehr vielseitig und umfassend. Es wurden uns verschiedene Wirtschaftszweige vorgestellt. Bereits zum Frühstück wurden Panels durchgeführt und auch das Abendprogramm war mit fachlichen Inputs bereichert. Der US-Bundesstaat Colorado setzt auf einige Kernschwerpunkte für Innovation und Unternehmertum und die enge Zusammenarbeit der Wissenschaft und Wirtschaft. Dies wurde an allen Stationen gut verdeutlicht. Wir lernten beispielsweise in dem Co-Working-Space im National Cybersecurity Center (NCC) in der Stadt Colorado Springs innovative Start-ups kennen.

Eine Textwolke mit den Stichworten Energiewende, Klimaschutz, Windkraft, Erneuerbare Energien etc. ist zu sehen.
© Adobe Stock/K.C.
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In Denver erfuhren wir mehr über Revitalisierungsansätze. Auf einer innerstädtischen Brachfläche wird dort bis zum Jahr 2024 der nachhaltige Campus des National Western Center gebaut, der ein innerstädtisches Zentrum für Innovationen im Bereich Landwirtschaft, Lebensmittel, Bildung und Unterhaltung werden soll. Beim Besuch einer führenden Ingenieursschule, der Colorado School of Mines, konnte ich über deren Forschungsthemen sprechen – und auch mit Industrieunternehmen in Colorado Springs war ein Austausch möglich, welche Rolle die Energiepreise in den USA spielen.

Interessant fand ich auch den Katastrophenschutz und Notfallmanagement, insbesondere in Bezug auf Waldbrände, sowie die sehr gute finanzielle Ausstattung des University of Colorado Anschutz Medical Campus durch private Gelder und philantrope Organisationen.

Was war für Sie besonders interessant?

Sehr beeindruckt war ich von den vielen kompetenten Frauen in Führungspositionen in den Unternehmen, vor allem in den technischen Bereichen. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Frauen aus den USA auch innerhalb der ACE-Delegation auszutauschen, die unter amerikanischen Rahmenbedingungen Beruf und Familie souverän bestreiten.

Was haben Sie fachlich und persönlich für sich mitgenommen?

Ich bin den ACE-Veranstaltern und dem BMWi sehr dankbar für diese vielen Impressionen, die sehr gut organisierte Delegationsreise und große Unterstützung zu jedem Zeitpunkt. Auch die Deutsche Botschaft in Washington, D.C., unterstützte mich bei der Nachbereitung. Sofern ich es anhand meiner Einblicke beurteilen kann, haben wir in Deutschland beim Thema Erneuerbare Energien für die Klimaneutralität insbesondere in der Industrie einen gewissen Vorsprung gegenüber Colorado. Aber Klimaneutralität steht jetzt dort auch auf der Agenda. Selbst der Flughafen Denver will sich komplett dekarbonisieren. Die konkreten Ziele und Transformationspfade sind aber noch nicht definiert. Mein Eindruck war, dass in Colorado der Klimawandel als Wirtschaftsfaktor derzeit noch keine wesentliche Rolle für die Wirtschaft spielt und auch längerfristig auf Erdgas als fossilen Energieträger gesetzt wird.

Persönlich konnte ich ein wertvolles Netzwerk mit hochkarätigen Wirtschafts-, Wissenschafts- und administrativen Fachleuten in den USA sowie Lateinamerika aber auch Deutschland aufbauen und habe im Anschluss an die Reise nach all den tollen Präsentationen über Maßnahmen zur weiteren Optimierung unserer Kommunikation und Markenbildung nachgedacht.

Und welche Mehrwerte konnten Sie für Ihr Thüringer Netzwerk ThEEN aus der Reise ziehen?

ThEEN als Cluster hat den Auftrag, Internationalisierung für unsere Innovationen und Technologien zu betreiben. Mit den relevanten Akteuren aus den USA und Lateinamerika werden wir nun weitere Austauschformate organisieren und freuen uns, wenn wir zusammen innovative internationale Projekte anstoßen.

Es besteht großes Interesse an den im vom Bundesforschungsministerium geförderten Wachstumskern „smood® - smart neighborhood“ entwickelten Technologien für den energetischen Quartiersumbau. Besonders gefragt sind der elektrische Quartiersspeicher EStorage auf Basis der Natrium-Nickelchlorid-Technologie sowie die saisonale Wärmespeichertechnologie GeoHeatStorage, die eine bautechnisch erschlossene oberflächennahe Kies-Grundwasserleiter nutzt. Informationen zum Wachstumskern „smood® - smart neighborhood“

Welchen Einfluss haben die Erfahrungen der Reise auf Ihre weitere Arbeit als Clustermanagerin?

Die Reise hat einmal mehr bestätigt, wie wichtig es ist, außerhalb des eigenen Arbeitshorizontes immer wieder zu schauen und zu reflektieren, wie andere Institutionen ihre Themen angehen, Prozesse organisieren und dass es für beide Seiten befruchtend ist, in den Austausch zu gehen.

Meine Arbeit ist mit viel Kommunikation, persönlichen Kontakten und Vertrauen verbunden. Nach der langen kontaktarmen Pandemiezeit hat diese reale Delegationsreise viel positive Energie bei mir freigesetzt, um den spannenden, manchmal holprigen, aber auf alle Fälle lehrreichen Prozess der Umsetzung der Energiewende weiter voranzubringen und dabei positive ökonomische Effekte zu generieren. Wir müssen uns auf die Nachhaltigkeit mehr denn je fokussieren.

ThEEN – Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerk

Als Innovationscluster und Kompetenznetzwerk der Erneuerbaren Energien, Energiespeicherung, Energieeffizienz und Sektorenkopplung vertritt das Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerk (ThEEN) e. V. über seine Mitgliedsverbände Arbeitsgemeinschaft Thüringer Wasserkraftwerke, Bundesverband WindEnergie-Landesgruppe Thüringen, Fachverband Biogas-Regionalbüro Ost, SolarInput sowie zahlreiche Einzelmitglieder, Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Kommunen und Institutionen mehr als 300 Unternehmen.

Das ThEEN und seine Mitglieder gestalten die Energiewende in Thüringen und aus Thüringen heraus mit. Das übergeordnete Ziel des Netzwerks besteht darin, die Kompetenzen der Mitglieder in den verschiedenen Sparten der Erneuerbaren Energien, Energiespeicherung und Energieeffizienz zu bündeln und sektorenübergreifend in Form von Arbeitsgruppen, Fachforen und Projekten regional, überregional wie international zusammenzuführen.