Meldung
08.08.2018

Life Science Nord: Lübeck Summer Academy 2018

Neue Chancen durch Künstliche Intelligenz – Gefahren durch Bürokratie

Wie lässt sich die Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizintechnik zum Wohle der Menschheit einsetzen? Was ist schon möglich und wo gibt es noch Grenzen und Vorbehalte? Rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten aktuelle Themen und Technologien der Branche auf der 7. Lübeck Summer Academy on Medical Technology (LSA) in den Lübecker media docks. Die Veranstaltung wurde von der IHK zu Lübeck mit Unterstützung des Clusters Life Science Nord und Einrichtungen des Lübecker BioMedTec Wissenschaftscampus (Fachhochschule Lübeck, Universität zu Lübeck und Fraunhofer MEVIS) organisiert. Tagungspräsidentin war erneut die Lübecker Rechtsanwältin Prof. Dr. Heike Wachenhausen. Medizinproduktehersteller aus Schleswig-Holstein sowie aus anderen Regionen Deutschlands und Europas informierten sich vor Ort bei 15 Ausstellern und 20 Vorträgen über technische Entwicklungen und Einsatzmöglichkeiten der KI.

Lübeck Summer Academy 2018
Christopher Coenen, Institute for Technology Assessment and Systems, Analysis (ITAS), Karlsruhe Institute of Technology (KIT)
© Guido Kollmeier
Life Science Nord: Lübeck Summer Academy 2018

So können Mediziner in der Mikrofluidik, die sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten auf kleinstem Raum beschäftigt, Krankheiten wie Leukämie dank der KI frühzeitig erkennen. Auf der Branchenveranstaltung ging es aber auch um neue EU-Verordnungen und den rechtlichen Rahmen für Medizinprodukte, der die Hersteller vor enorme Herausforderungen stellt.

In der ersten Keynote zeigte Dr. Wolfgang Hildesheim, Head of Watson & Artifical Intelligence bei dem Softwarehersteller IBM, die Potenziale und Einsatzmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auf. Dabei stellte er die semantische IBM-Suchmaschine „Watson” vor, die bereits in der Quizsendung „Jeopardy!” selbstlernende Algorithmen demonstrierte. Seit Juni 2018 unterstützt das KI-System in Form des Roboters „Cimon” den Astronauten Alexander Gerst auf der Raumstation ISS.

Hildesheim bezeichnete die Künstliche Intelligenz als einen Megatrend mit riesigen Chancen: „Produkte und Dienstleistungen werden intelligenter und die Art und Weise des Zusammenarbeitens wird sich massiv ändern - ähnlich wie bei der Einführung des Internets”. Bislang könne die KI einfache intellektuelle Tätigkeiten wie Bild- und Objekterkennung übernehmen. In der Zukunft sollen KI-Anwendungen schneller und einfacher werden. Hildesheim sprach dabei von der Demokratisierung der KI: „Die Fähigkeiten Sprechen und Hören, Lesen und Schreiben sowie das Sehen und Erkennen werden zu Smart Assistants kombiniert. Diese können dann in vielen Bereichen zum Einsatz kommen - etwa beim autonomen Fahren, bei komplizierten Medizinprodukten oder bei der Verwaltung von Krankenhäusern”.

Dr. Holger Hennig, Senior Managing Consultant bei IBM, erklärte wie Deep Learning in der Medizintechnik hilft, durch Algorithmen komplexe Muster im Körper zu unterscheiden und etwa Krebszellen zu diagnostizieren. Auch Patienten in Schleswig-Holstein können wohl bald von KI-Technologien profitieren. Etwa durch den Sprachavatar „Hospital Genius”, den IBM zusammen mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein entwickelt hat.

Nach der zweiten Keynote von Christopher Coenen, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der sich mit der Medizintechnik in der Politik und Gesellschaft sowie mit ethischen Fragen auseinandersetzte, diskutierten die Teilnehmer in drei parallelen Workshops aktuelle Entwicklungen zu den Themen Regulatory Affairs, Mikrofluidik sowie Künstliche Intelligenz und Deep Learning.

Vor allem bei der Zulassung von Medizinprodukten bestand großer Gesprächsbedarf zu der ab 2020 greifenden Medical Device Regulation (MDR). „Die MDR dient der Harmonisierung von Vorschriften für Medizinprodukte und bildet eine gemeinsame Plattform für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten. Sie definiert Anforderungen an die Herstellung, Prüfung und Entwicklung, um den freien Warenverkehr in Europa zu gewährleisten”, sagte Klaus-Dieter Ziel von der Hamburger Medcert GmbH. Die neue Regelung lässt bislang viele wichtige Fragen für die Hersteller offen. Viel mehr Hersteller als bisher brauchen laut Ziel künftig eine benannte Stelle und können sich nicht mehr selbst zertifizieren. Erhebliche Änderungen gebe es in dem Bereich der technischen Dokumentation - vor allem bei der klinischen Bewertung und den klinischen Daten müssten die Unternehmen künftig mehr leisten.

Laut der zu Beginn des Jahres 2018 veröffentlichten Studie „Der ökonomische Fußabdruck des Clusters Life Science Nord” beschäftigt die Medizintechnik (inklusive Großhandel) in Hamburg und Schleswig-Holstein mehr als 15.000 Erwerbstätige. Das bittere Fazit der Experten lautet, dass von der Bruttowertschöpfung aufgrund der Umstellung auf die MDR in den kommenden Jahren etwa ein Viertel verloren gehen wird. Entweder weil für die Medizinproduktehersteller der Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand zu hoch wird oder weil die Hersteller schlicht keine Benannte Stelle finden werden, die sie dazu zertifiziert, ihre Produkte mit der besonderen CE-Markierung für Medizinprodukte zu kennzeichnen. Zu befürchten ist ein dramatischer Umbruch der europäischen Medizintechnikindustrie, der auch vor Hamburg und Schleswig-Holstein nicht haltmacht und zudem unabsehbare Folgen für Patienten haben wird.

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